Knapp daneben ist auch verfehlt

aleppo-busses

Reuters/ Ammar Abdullah

„Die Kunst muss nichts. Die Kunst darf alles.“ Die Kunst darf provozieren. Tut sie aber heutzutage seltener, und bequemt sich dort zu provozieren, wo keine Gefahr und Widerspruch droht. Mutige Künstler gibt es wenige; einige sind schon ermordet worden oder lähmend eingeschüchtert. Nun wurde Theo van Gogh wegen eines Filmes ein Messer in den Bauch gerammt, eine halbe Redaktion wurde in Paris ausgelöscht, ein Mann wollte Kunstwerke im Louvre zerstören. „Entartete“ Kunstwerke werden auch politically correct abgehängt oder abgedeckt.

Künstler und Kunstwerke werden von Kritikern und Kulturbanausen verbal und schriftlich niedergemacht, auch mal gelobt. Oft geht es um den „Geschmack“. Philosophen und Kunstkritiker versuchen seit Jahrhunderten Kunst überhaupt zu definieren. Und dann werden die definierten Grenzen aufgebrochen.

Kulturschaffende selbst haben nicht das Monopol zu Kritisieren, sonst könnten die Kunstwerke nicht in Dialog mit den Betrachtern treten. Subjektiv ausgedrückt, nicht jede Kritik ist auf Verstand und Geschmack basiert. Das gilt nämlich für die Kunstwerke auch.

Und nun wuchten drei hochkant aufgestellte Busse vor der Marienkirche in Dresden. Rein ästhetisch finde ich das Ensemble beeindruckend; auch dass der Künstler damit provozieren will, ist mutig. Rings herum wird im Publikum pauschalisiert. Alle, die das Kunstwerk – teils lauthals vor Ort – kritisieren, werden als Rechtsaußen kategorisiert. So wird das in den aktuellen Nachrichten dargestellt.

Fangen wir beim Künstler an:

Die Installation ‚Monument‘ bezieht sich auf die gegenwärtige Situation in Syrien. Mit dem Bild der aufgestellten Busse vor der Frauenkirche wird eine Verbindung zwischen der Situation der Menschen im Nahen Osten und Europa hergestellt: Das Leid und die unaussprechlichen Verluste, aber auch die Hoffnung auf den Wiederaufbau und Frieden.“

Die Titel „Monument“ ist generic und sagt nicht viel aus. Der allgemeine Hinweis auf die „Situation der Menschen im Nahen Osten“ trägt wenig Inhalt, da es vielen Menschen im Nahen Osten ausgesprochen gut geht; andere erleben Zerstörung und Tod. Wenn wir aber das Vorbild der Installation betrachten, dann haben wir endlich einen konkreten Bezug. Es handelt sich um ein Foto von Barrikaden in Aleppo, Syrien, die von dschihadistischen Milizen errichtet worden sind. Sie bekämpfen den syrischen Machthaber Assad, um einen allein auf der Scharia gegründeten Gottesstaat zu errichten. Die Zivilbevölkerung ist dieser Gruppierung, der terroristischen Vereinigung ‚Ahrar al-Scham‚, völlig egal. „Zusammen mit anderen bewaffneten Oppositionsgruppen (war Ahrar al-Scham) vom 4. bis 18. August (2013) in ländlichen Gegenden des Gouvernement Latakia an Massakern beteiligt, bei denen mindestens 190 Zivilisten getötet und über 200 als Geiseln genommen wurden.“

„Den Schöpfer des ‚Monument’ vor der Frauenkirche treffen die Hinweise völlig überraschend. ‚Ich habe viele Fotos von den Barrikaden in Aleppo gesehen, auf keinem einzigen war diese Fahne abgebildet,‘ sagt Manaf Halbouni entsetzt. Tatsächlich kursieren zahllose Aufnahmen der Busse. Nur auf dem von (Ammar) Abdullah erkennt man die Flagge, auf einem anderen den nackten Flaggenstock, auf den übrigen nichts davon. Vieles spricht dafür, dass die Fahne nur kurze Zeit auf den Bussen wehte – und mindestens von der Zeitung The Guardian sogar wegretuschiert (Korrektur: gekürzt) wurde“.

Bei Reuters ist die Originalaufnahme zu sehen. Darunter steht: „Upended buses barricade a street in Aleppo. The vehicles serve as protection against snipers loyal to Syria’s President Bashar al-Assad, in the rebel-controlled Bustan al-Qasr neighbourhood.“ Der behauptete Schutz für Zivilisten wurde in den Medien nachgedichtet.

Der Künstler wehrt sich: „Ich finde es schade, dass ich die Arbeit verteidigen muss.“ Eine bessere Recherche hätte ihm geholfen. Ausweichend meint er:

„Das Einzige, was ich weiß, ist, dass eine der dort kämpfenden Parteien die Busse dort aufgerichtet hat, um eine Schutzbarrikade für die Zivilbevölkerung zu errichten, um die Sicht von Scharfschützen zu blockieren.“

Barrikaden werden öfters bei urbanen Kampfhandlungen aufgebaut; meistens um die kämpfenden Soldaten vor Scharfschützen zu schützen. Eine dschihadistische Miliz kümmert sich aber kaum um eine Zivilbevölkerung; die Dschihadisten kämpfen für sich und ihre kranke Ideologie. Die Zivilisten wurden hauptsächlich als Geiseln gehalten, wie so oft im syrischen Krieg berichtet. Alles andere ist Propaganda; daher richtet sich die Arbeit „nicht nach irgendeiner Partei, die dort kämpft“. So viel vorgespielte Neutralität kann nur täuschen, um das ganze Kunstprojekt irgendwie zu legitimieren.

Wenn der Künstler ein Foto von Barrikaden während des Ende des Zweiten Weltkrieges in einer deutschen Großstadt als Vorbild benutzt hätte, müsste er nur eins finden, wo die Hakenkreuzfahnen weg retuschiert worden sind. Wer hätte 1945 in Dresden sonst Barrikaden aufgebaut? Dafür hätte er bestimmt den Beifall von Ewiggestrigen geerntet. Nun hat er vielleicht ungewollt die Zustimmung von Dschihadisten – auch Ewiggestrigen -, die sich durch sein Kunstwerk als „Beschützer“ von Zivilisten aufgewertet sehen.

barricade-1945

Die Situation in Syrien ist nicht leicht zu überschauen. Leichter war es im Zweiten Weltkrieg, wobei die deutschen Nazis eindeutig die Bösen – auch die „Moderaten“ -und die Amis und die Briten die Guten waren. Daher ist die „Verbindung zwischen der Situation der Menschen im Nahen Osten und Europa“ äußerst schwach. Es lässt sich nicht automatisch erfahren, was für Leute aus Syrien sich nach Europa durchgeschlagen haben. „Man hat keinen Überblick mehr,“ sagt der Künstler selbst. Spätestens nach dem neuerlichen Massenmord am Berliner Weihnachtsmarkt wissen wir, dass psychopathische Killer dabei sind; Nicht alle, die fliehen, sind die „Guten“. Wenn der Künstler beabsichtigt eine Verbindung zwischen Dresden damals und Aleppo heute herzustellen und diese schwer nachvollziehbar ist, muss er mit Unverständnis und Verwirrung rechnen.

Eine Gemeinsamkeit ist dennoch sicher. Die besonnenen Zivilbevölkerungen von Dresden und Aleppo waren froh, die Barrikadenbauer los zu sein.

William Wires, 9. Feb. 2017

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Künstler, Maler
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2 Antworten zu Knapp daneben ist auch verfehlt

  1. Joerg Hammer schreibt:

    Toller, sensibler Kommentar, der auf die komplexe Situation in Syrien (und anderswo) verweist und wirklich zum Innehalten und scharfen Nachdenken animiert. Solche Stimmen sind genial in einer Zeit, wo die Luft „vom Spuk so voll“ ist, dass dieser Artikel auch im März 2018 so frisch und beachtenswert erscheint, wie nur irgendwas.

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  2. Anonymous schreibt:

    Also ich bin extra hingefahren, weil ich es spannend fand:
    https://goo.gl/photos/AuHVbzwergz3kfzL6

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